«Vermittlung von Geschichte
neu erfunden»
Erlebnisarchäologie: Der Legionärspfad macht in Windisch mit attraktiven Inszenierungen das einzige römische Legionslager in der Schweiz auf lebendige Weise erfahrbar – dort, wo 6000 Soldaten, vom einfachen Legionär bis zum römischen Senator, Dienst für den Kaiser in Rom leisteten. Mehr Infos unter www.legionaerspfad.ch.
Auf dem Areal siehts aus wie auf einer Baustelle...
Salome Maurer: Dass bei einem solch grossen Projekt noch einige Baustellen zu sehen sind, ist normal. Wir sind im Zeitplan. Im Moment verändert sich alles täglich stark und nimmt kontinuierlich Formen an.
Das Herzstück des Legionärspfades sind die Contubernia, die original nachgebauten Mannschaftsunterkünfte. Auch sie wirken eher fragmentarisch.
Salome Maurer: Eine Baustelle bleibt und war so auch eingeplant. Ab dem 9. Juni wird in den Contubernia schon fleissig übernachtet. Das Offiziershaus ist bis dann noch nicht fertig erstellt und wird als experimentalarchäologische Baustelle bis zur Fertigstellung für die Besucher sichtbar bleiben. Manche der übernachtenden Besucher werden selbst auch Hand anlegen und mitbauen.
«Spiel Dich in die Römerzeit» lautet die Legionärspfad-Schlagzeile. Erklären Sie bitte.
Thomas Pauli-Gabi: Die Besucher entdecken das ehemalige Legionslager in einem Spiel. Sie erhalten mit dem Römerpass eine neue Identität und lösen auf ihrem Rundgang das schwierige Rätsel des Gottes Neptun. Im Startraum schickt der Legionskommandant persönlich die frisch rekrutieren Legionären auf eine wichtige Mission zur Rettung von Vindonissa. An den Stationen können sie mit der Beantwortung kniffliger Fragen über das römische Alltagsleben innerhalb der Legion in einen höheren Rang aufsteigen. Das antike Vindonissa bzw. das heutige Windisch wird dabei zum Spielfeld.
«Interaktives Erlebnis» – wie geht das konkret?
Thomas Pauli-Gabi: Zur Ausrüstung der Teilnehmenden gehört ein Audioguide, ein Spielquartett und ein Legionärsrucksack mit Spielutensilien wie Messlatte und Spielplan. Als zentrales Medium für die Vermittlung der kulturgeschichtlichen Inhalte kommt an allen Stationen der mitgeführte Audioguide zum Einsatz. Im Gegensatz zu herkömmlichen Audioführungen, die sich in der Regel auf fachliche Erläuterungen beschränken, taucht man auf dem Legionärspfad in realitätsnahe Hörlandschaften ein, die mit ortsspezifischen Audiocollagen und Dialogen die Imaginationskraft anregen sollen. In den Köpfen der Besucher entstehen neue, spannende Bilder möglicher Vergangenheiten. Ein zentraler Bestandteil des Vermittlungskonzepts ist auch das heutige Windisch: Die Besucher pendeln zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Was, wenn ich solche Schnitzeljagden albern finde und vielmehr knallharte Facts vermittelt bekommen will?
Thomas Pauli-Gabi: Der Legionärspfad ist kein Funpark und auch kein Museum. Er erfindet die Vermittlung von Geschichte und Archäologie am Originalschauplatz neu. Neben dem Spiel «Werde Römer», das Familien, Schulkassen und Spielfreunde auf eine Zeitreise schickt, kann auf der «Forschungsreise» der spannenden Geschichte der archäologischen Erforschung von Vindonissa nachgespürt werden. Ausgerüstet mit informativen Grabungsheften und einem Audioguide geht die Reise zu den Schauplätzen der archäologischen Entdeckungen von 1905 bis 2003.
Nationale Ausstrahlung soll der Legionärspfad haben. Was tun Sie marketingmässig, dass Sie auf die avisierten 70’000 Besucher im Jahr kommen?
Salome Maurer: 70'000 Besucher: Da sprechen Sie von der maximalen Auslastung mit dem Ausbau auf 12 Stationen.
Wie auch immer: Gross Werbung habe ich noch nirgends gesehen. Ist das Ganze also ein Selbstläufer?
Salome Maurer: Marktschreierische Werbung machen wir tatsächlich keine. Wir gehen die Kunden direkt an. Die Lehrkräfte etwa haben wir mit einem Direktversand gleich nach den Sportferien auf das neue Vermittlungsangebot aufmerksam gemacht. Die Anfragen zu Übernachtungen laufen jedenfalls sehr gut. Bis zu den Schulferien sind wir beinahe ausgebucht. Ausserdem hatten wir an der diesjährigen Luzerner Erlebnismesse einen sehr lebendigen Auftritt. Weiter haben wir mit der Coop-Zeitung einen tollen Partner – und natürlich hat auch die Berichterstattung der Wissenssendung «Einstein» mit 450'000 Zuschauern für Publicity gesorgt.
Wieviele Leute beschäftigt der Legionärspfad eigentlich?
Salome Maurer: Er ist ein Saisonbetrieb mit Sechstagewoche. So gibt es zwei Anstellungsmöglichkeiten. Einige haben Saisonverträge, andere arbeiten das ganze Jahr und konzentrieren sich auf den Ausbau. Insgesamt sind wir während der Saison ein Team von 14 Personen.
Fast 6 Millionen aus dem Lotteriefonds für die Startphase, weitere 3,2 Mio. bis zum Vollausbau auf 16 Stationen plus Sponsorengelder: Einige finden das ziemlich übertrieben. Was entgegnen Sie diesen?
Thomas Pauli-Gabi: Wir heissen alle herzlich willkommen, dass sie sich vor Ort ein Bild über die Qualität und die Ausstrahlung dieses schweizweit einmaligen Vermittlungsprojektes machen können.
Mal ganz grundsätzlich: Weshalb ist es überhaupt wichtig zu wissen, was hier vor 2000 Jahren war?
Thomas Pauli-Gabi: Wir können uns am historischen Schauplatz Vindonissa an eine Zeit «erinnern», als Europa zusammenwuchs und unser Land Teil der griechisch-römischen Mittelmeerkultur wurde. Der Legionärspfad führt uns damit zu den Anfängen unserer heutigen Wertewelt und Kultur. Wer diese hinterfragen und besser verstehen will, ist in Vindonissa auf dem richtigen Pfad.
Wollen Sie mit diesem einmaligen Vermittlungsprojekt jetzt Kaiseraugst & Co. den Rang ablaufen?
Salome Maurer: Ich sehe den Legionärspfad eher als Ergänzung zu Augusta Raurica & Co. Schliesslich lassen wir das einzige Legionslager auf dem Gebiet der heutigen Schweiz aufleben und zeigen den militärischen Alltag. Kaiseraugst dagegen deckt das zivile Leben ab. Die Formen und Inhalte der Vermittlung sind auch ganz anderes gewichtet. Auf das kommende Jahr hin wollen wir mit Augusta Raurica zusammen ein sich ergänzendes zweitägiges Angebot anbieten.
Wenn das Gelände von 70’000 Besuchern geflutet wird – wie bringen Sie diese an den Ruhebedürfnissen der Psychiatrischen Dienste vorbei?
Salome Maurer: Geflutet klingt mir zu heftig; die Besucher erscheinen verteilt auf 7 Monate Betriebszeit. In der ersten, verkürzten Saison möchten wir 35'000 Besuchende. In den Folgejahren erwarten wir 50'000, und erst mit der nächsten Ausbauetappe rechnen wir mit 70'000. So können wir in den ersten beiden Betriebsjahren Erfahrungen sammeln und sehen, wie sich unser Betrieb mit den Bedürfnissen der Klinik vereinbaren lässt. Der als Legionärspfad markierte Weg auf dem Klinikareal führt entlang der Peripherie und tangiert den Betrieb so wenig wie möglich.
Was ist Ihr persönliches Highlight des Legionärspfads?
Thomas Pauli-Gabi: Die unerHÖRT realistischen Audiolandschaften an den Stationen, die den «Film im Kopf» in Gang setzen und uns auf eine Zeitreise in das Alltagsleben im Legionslager schicken.
Salome Maurer: Dass es gelingt, unsere römische Vergangenheit mit den technischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts zu verschmelzen.